Taekwon Do

Norbert Burkowski – 5.Dan

Über dieses Kampfsystem

Da über dieses Kampfsystem schon viel gesagt wurde, will ich der Fachliteratur nicht noch einmal schon lange Bekanntes hinzufügen. Vielmehr möchte ich dazu anregen, über die eigene Position zum Taekwon-Do nachzudenken. Sich selbst die Frage zu stellen und vielleicht zu beantworten: „Was erwarte ich vom Taekwon-Do und was will ich durch die Praktizierung erreichen ?“ Die nachfolgenden Gedanken geben hierzu hoffentlich ein wenig Anregung. Johann W. Goethe schrieb einst:

„…Um das Unmögliche bis auf einen gewissen Grad möglich zu machen, muß man sich nur keck mit rastlosem Streben an das scheinbar Unmögliche machen…“

Beim Erlernen und Betreiben des koreanischen Kampfsportes TKD erkennt man, dass diese Aufforderung zur Selbstvollendung mehr ist als ein leeres Dichterwort. Fasziniert steht man vor einem Sport, der von seiner Vielseitigkeit und seiner stark wechselnden Dynamik lebt. Ruhiges Abwägen wird von blitzschnellen Verteidigungs- und Angriffsaktionen abgelöst. Die Hand- und Fußtechniken, die in anspruchsvoll verknüpften Aktionen zur Anwendung kommen, werden mit einer dem Laien fast unvorstellbaren Präzision zum Ziel gebracht. Die meisten Techniken werden „explosionsartig“ abgeschossen und erst ein bis zwei Zentimeter vor dem Ziel gestoppt. Der TKD-Sportler nennt dies, die Technik „einrasten“ lassen. Hierin liegt auch einer der Gründe für die gewaltige Kraft, die bei Stößen und Fußtritten entsteht. So wird z.B. beim Fauststoß die Faust kontinuierlich beschleunigt, die gesamte Körpermasse wird hinter den Stoß gelegt und kurz vor der Streckung dreht sich die Faust um 180 Grad, was die Energie des Stoßes nochmals erhöht. Im Moment des Einrastens der Faust im Ziel gibt sie die erworbene kinetische Energie an das getroffenen Objekt ab.

Perfektion durch Geschicklichkeit, Körperbeherrschung und Selbstdisziplin

Um dem Leser eine Vorstellung von der Effizienz der Technik, der entstehenden Gewalt, zu geben, sei auf eine wissenschaftliche Untersuchung im Testzentrum einer großen bayrischen Autofirma hingewiesen: hier wurde der Großmeister Kwon, Jae-Hwa auf die Kraft und Schnelligkeit seiner Technik untersucht. Als Untersuchungsmaterialien benutzte man High-Speed Kameras und Druckmessplatten; das zu brechende Material waren Flußkiesel. Mit den genannten Untersuchungsgeräten wurde ermittelt, dass Großmeister Kwon beim Auftreffen seiner Hand auf den Kieselstein für den Zeitraum von etwa 1/2.000 Sekunde eine Tonne Druck zu erzeugen vermag. Daß bei diesen schier unmenschlichen Aktionen des Material bricht und nicht der Knochen, hängt mit der unterschiedlichen Biegefestigkeit der Materialien zusammen. Am Beispiel des Großmeisters wird auch ersichtlich, welche Konzentration, Geschicklichkeit, Körperbeherrschung und Selbstdisziplin vonnöten sind, um diese Perfektion zu erreichen.

Um zu solch extremen Leistungen fähig zu sein, ist natürlich jahrelanges Training erforderlich; hier erkennt auch der Laie, warum die Techniken beim Training mit einem Partner abgestoppt werden müssen. Die zur Regel erhobene Selbstbeherrschung ist in diesem durchaus gefährlichen Sport ein hervorragendes Beispiel dafür, dass gewaltloser Kampfsport möglich ist. Die erwähnte Selbstbeherrschung muß aber immer im Zusammenhang mit der asiatischen Lebensweise gesehen werden; sie ist nicht gleichbedeutend mit der europäischen Art, sich etwas zu verkneifen oder „Wut im Bauch zu haben und trotzdem nicht zu schreien.“ Sie bedeutet vielmehr, die Lücke zwischen Gedanken, Wille und Körper zu schließen, um durch deren Beherrschung alle im Menschen schlummernden Möglichkeiten auszuschöpfen. Die Gedanken müssen daher genauso geschult werden wie der Wille und der Körper. Der Lateiner sagt:“Mens sana in corpore sano.“ Alle Übungen sollen letztlich ein Mittel sein, um die Mauern des Ich zu beseitigen und allem offen gegenüber zu stehen.

Das beste Beispiel für die Einseitigkeit europäischer Sicht kann man an sich selbst ausprobieren: Schauen sie aus dem Fenster und schreiben sie auf, was sie wahrgenommen haben. Nun bitten sie eine andere Person, das Gleiche zu tun und vergleichen sie hinterher die Ergebnisse. Sie werden erkennen, dass zum Teil sehr unterschiedliche Eindrücke sortiert wurden. Diesen Mechanismus nennt man selektive, also auswählende, Wahrnehmung. Jeder sieht das, was er unbewußt für wichtig und bemerkenswert hält.

Konzentration und Selbstbeherrschung

Im Rahmen des geistigen Reifeprozesses im TKD, der eng mit dem asiatischen Zen verbunden ist, soll man aber die Erfahrung machen, dass jedes Ding seinen Platz hat, gleich wichtig und daseinsberechtigt ist. Alle Dinge zu sehen und die Beziehungen zwischen ihnen zu erkennen, bedeutet im Zen-Buddhismus, auch sich selber zu sehen und sich somit in die Welt einflechten zu können. Man wird letztendlich „Herr über sich selbst“. Dieses Selbstbewußtsein schafft Selbstvertrauen und gibt natürlich im täglichen Leben die Freiheit zu überlegtem Handeln.

TKD bedeutet, einfach übersetzt: Fuß, Hand und Weg. Tae bedeutet schlagen, springen und stoßen mit dem Fuß, Kwon heißt wörtlich übersetzt Faust und symbolisiert die Handtechniken. Do steht für die geistige Entwicklung und Persönlichkeitsentfaltung. TKD gehört zur Gruppe der harten Nahkampfsysteme. Unter den harten Stilen versteht man alle diejenigen, die Stoß-, Tritt- und Schlagtechniken benutzen.


Die Grundlage für die Ausbildung im TKD bilden drei Disziplinen:
Die Ausbildung erfolgt nur in diesen drei Gruppen bzw. aufgrund einer elementhaft-sythetischen Lehrmethode in Übungen, die darauf hinführen.

1. Die Hyong

Die erste Disziplin ist die HYONG. In der Hyong sind alle Angriffs- und Abwehrtechniken vereinigt; sie stellt einen Kampf ohne Gegner, ähnlich dem Schattenboxen, dar. Es gibt 24 Hyong, die im Schwierigkeitsgrad je nach Gürtel steigen. Wie bei einer Pflichtübung beim Turnen sind alle Einzeltechniken hinsichtlich ihrer Abfolge und Ausführung vorgeschrieben. Der TKD-Sportler muß diese genau festgelegten Techniken in einer fortlaufenden Aktion nach einem ebenfalls festgelegten Schrittdiagramm durchlaufen. Die Bewegungen müssen kraftvoll und dynamisch ausgeführt werden. Für den Beobachter wird in der Aneinanderreihung und Kombination der Bewegungen Ästhetik, Gewandheit, Schnelligkeit und Universalität des TKD offenbar. In früherer Zeit, als es noch keine sportliche Reglementierung gab, wurde in Korea der Kampf nur in Form der Hyong ausgeübt. Das Auge des Meisters erkennt deutlich, welche Fortschritte der Schüler in seiner Bewegungsbildung gemacht hat; auch die Stärke der Technik wird offenbar, da sich der Ausübende subjektiv in einer Kampfsituation befindet, in der er real angreifen und verteidigen muß. Ein Abstoppen der Techniken -wie bei den Partnerübungen- entfällt somit. Die immer verflochtener werdenden Hyong verlangen immer größere Übersicht, Konzentration und Einfühlungsvermögen des Aktiven. Die in der Hyong zur Anwendung kommenden Techniken werden in der sogenannten GRUNDSCHULE trainiert; diese macht einen nicht unwesentlichen Bestandteil der Trainingstunden aus.

2. Der Bruchtest

Der zweite Teil des TKD, der zwar nicht weniger wichtig ist, von vielen Europäern aber leider als das A und O des Sportes betrachtet wird, ist der KYEK PA, der Bruchtest. Er soll ein Ausdruck der geistigen und technischen Reife, des Selbstbewußtseins und der Selbstdisziplin sein. Ein laienhaft durchgeführter Bruchtest führt oft zu Verletzungen und scheitert bei schwierigem Material häufig gänzlich. Der Kyek pa soll daher mehr sein als nur ein physisches Erlebnis; er soll zeigen, ob der Aktive es bis zu einem gewissen Grad geschafft hat, die Lücke zwischen Geist, Wille und Körper zu schließen, da nur dieser Dreierbund die Leistung vollbringen läßt. Man denke dabei an das eingangs erwähnte Beispiel des Flußkieselstein Bruchtestes zurück. Der eigentliche Bruchtest ist also eine geistige Konfrontation; der Wille muß bereits den Bruch der Materie vorkonzipiert haben, für ihn ist das Material schon vor Ausführung der Technik zerschlagen. Der Wille beeinflußt die Gedanken, die sich dadurch in ihrer Richtung nur auf die Materie sammeln. Nur so kann der Aktive seine durch hartes Training erworbenen Fähigkeiten voll zur Anwendung bringen. Die fundamentale Bedeutung des Kyek pa ist also die Demonstration der geistigen Reife und des Fortschritts auf “ dem Weg „. Welches Erlebnis dem Aktiven in der Ausführung des Kyek pa erwächst, wird aus der Erklärung der notwendigen Grundlagen deutlich. Die Haltung zur Durchführung eines Kyek pa, also die geistige Konzeption, prägt allmählich das gesamte Leben. Entschlossenheit, Willensstärke und Tatkraft sind die Ziele dieser Übungsform.

3. Der Freikampf

Den dritten Teil des TKD stellt der FREIKAMPF dar. Er ist die Krönung des Kampfsportes! Losgelöst von allen Zwängen, die durch den imaginären Kampf in der Hyong auferlegt werden, wird hier die kreative Potenz des Aktiven offenbar.

Alles, was der Schüler bisher gelernt hat, wird nun im freien Kampf durchgeführt; die starren Partnerübungen sind gelöst, imaginäre Gegner werden nun real. Bei allen Freiheiten der Bewegungen unterliegt der Freikampf jedoch strengen sportlichen Regeln, da die Verletzungsgefahr sonst zu groß wäre. Im Freikampf finden alle Erfahrungen und Kenntnisse, alle Techniken, alles erlernte Können körperlicher und gedanklicher Natur, ihre Anwendung, Fortsetzung und Verfeinerung, ihre letzte Perfektion. Die höchste Präzision und Schnelligkeit ist für erfolgreiche Wettkämpfe von größter Bedeutung. Ein ebenfalls wichtiger Aspekt ist vor allem, daß es nicht um die Vernichtung eines Gegners geht, sondern um die Achtung des auf der Kampffläche gegenüberstehenden Aktiven. Die beginnt mit der Befolgung der Etikette und der Regeln (Verbeugung, Kontrolle der Tritte und Schläge) und setzt sich mit der Notwendigkeit, dem Gegner Beachtung zu schenken und dem Zwang, ihn kennenzulernen, fort. Sein Wesen, seine Eigenständigkeit und sein Können werden offenbar. Hierdurch verliert man seine Zentriertheit und erfährt den anderen Menschen. All dies fördert das Verständnis für den Anderen, man wird mit ihm vertraut und der Kampf wird nicht zum Ausdruck einer Vernichtungsabsicht, sondern wird zu einem Spiel, einer Diskussion, die zu gegenseitiger Annäherung führt. Hierdurch wird anonyme Brutalität zum Absurden. Das Eingehen der Wechselbeziehung mit dem anfangs fremden Wesen, mit seiner Kreativität und Spontanität, seinen Stärken und Schwächen und somit seiner schöpferischen Kraft, wird zum alleinigen Zentralpunkt. Insgesamt gesehen stellt das Erlernen dieser ostasiatischen Kampfkunst hohe physische und psychische Anforderungen. Der Aktive merkt jedoch bald, dass eine positive Wechselwirkung eintritt: Je mehr man investiert, umso mehr erreicht man! Die wachsenden Anforderungen werden durch steigende Fähigkeiten ausgeglichen. TKD ist ein Sport für jede Altersgruppe; er kann von jedem Menschen betrieben werden. Äußerst wichtig ist nur die qualifizierte Anleitung. Man sollte sich daher nicht von Slogans leiten lassen, die einem Perfektion in kürzester Zeit versprechen. Wer Interesse am Sport hat, sollte sich umschauen, mit Trainern sprechen und sich erst dann entscheiden.

Einem Übenden kann nichts Schlimmeres passieren, als durch falschen Trainerehrgeiz vom richtigen Weg abgebracht zu werden.


Über den Autor N. Burkowski

Norbert Burkowski ist Mitgründer des Budo-Sportvereins und erster Vorsitzender sowie Trainer. Träger des 5. Dan Taekwon Do sowie 3. Meistergrad im Kickboxen. Der sportliche Werdegang kann in der Hall of fame eingesehen werden.
E-mail: oldman1000@t-online.de